Das Universum verstehen

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Ein paar grundlegende Ideen

Bevor wir in den nächsten Artikeln etwas tiefer in das Thema Modelle einsteigen, wollte ich einige sehr wichtige Modelle kurz vorstellen, die jeder von uns intuitiv benutzt. Diese Ideen sind so fundamental, dass wir sie immer und immer wieder genauer ansehen sollten, denn für ein akkurates Weltbild ist ein beständiges Fundament unabdingbar.

The associative state machine

Fast jeder kennt diese Situation. Man macht sich auf den Weg von einem Zimmer der Wohnung in ein anderes nur um zu vergessen, warum man genau losgelaufen ist. Sobald man jedoch zurück geht, fällt es einem meistens wieder ein, weil man sich wieder in die selbe Situation begibt, in der man den Plan zum ersten Mal gefasst hat. Wenn sich der eigene Geisteszustand in der Zwischenzeit nicht deutlich verändert hat, führt das natürlich dazu, dass man wieder sehr ähnliche Gedanken wie zuvor hat und es fällt einem wieder ein, warum man beispielsweise in die Küche gehen wollte.
Diese und viele ähnliche Beobachtungen lassen darauf schließen, dass das Gehirn vereinfacht als ein 'assoziativer Zustandsautomat' beschrieben werden kann. Das bedeutet, dass sich die nächsten Gedanken und Handlungen kontinuierlich aus der Kombination von Sinnesreizen und dem jetzigen Zustand des Gehirns (chemisch, elektrisch, usw.) ergeben. Die Handlungen führen dann zu neuen Sinnesreizen, die dann den internen Zustand weiter verändern. (Einen "Schlag" auf den Kopf zähle ich hier vereinfacht auch zu den Sinnesreizen, da dieser ein äußerer Einfluß ist, der den Zustand des Gehirns verändert.)
Man beachte, dass man für dieses Modell nicht einmal wissen muss, woraus das Gehirn besteht. Aber natürlich kann man sich eine genauere Vorstellung bilden, wenn man die Neuronen und andere Gehirnbausteine mit einbezieht.
Eine Vereinfachung/Verbesserung, die man machen kann ist, dass man das Gedächtnis nicht als Teil des Gehirnzustandes modelliert, sondern als Modul mit eigenen Regeln und Eigenschaften. Damit kann man sich den aktuellen Zustand (müde, aufgeregt, auf etwas fokussiert, ...) einfacher als etwas dynamisches und unbeständiges vorstellen.

Wieso? Weshalb? Warum? Wer nicht fragt, bleibt...

Eines der Hauptmerkmale, das uns Menschen auszeichnet ist unser Drang zu verstehen, Fragen zu stellen und nach Ursachen zu suchen. Aber was genau passiert in unserem Kopf, wenn wir eine Frage stellen oder ein Konzept verstehen? Wonach genau fragen wir eigentlich, wenn wir "Was ist ein Faultier?" sagen?
Wenn wir ein Wort in einer uns bekannten Sprache hören, dann aktiviert das Wort ein mentales Konzept in unserem Gehirn. Genaugenommen, aktivieren sich viele Nervenzellen, die dieses Konzept repräsentieren, als auch ihre "Nachbarn". Wenn ich von einer 'grünen Wiese' rede, dann taucht das Bild (oder eine andere Repräsentation) einer Wiese in Ihrem Kopf auf.
Wenn wir einem anderen Menschen etwas erzählen oder erklären, dann versuchen wir durch Worte (Schallwellen in der Luft oder krumme Linien auf Papier) eine Serie von Gedanken und Bildern (Modelle!) in dem Kopf der anderen Person zu erzeugen. Damit das überhaupt funktionieren kann, müssen wir mit Konzepten und Erfahrungen arbeiten, die der andere schon kennt (man kann natürlich im Gespräch neue Konzepte und Bilder erzeugen) und durch Feedback sicherstellen, dass tatsächlich das Richtige ankommt.
Fragen sind 'Zeiger' auf Lücken und Unbekannte in unserem Modell, bei denen wir hoffen, dass unser Gegenüber uns weiterhelfen kann.

'Universale' Modelle

Es ist immer noch nicht ganz geklärt, ob das Universum fundamental deterministisch oder stochastisch ist. Erkenntnisse aus der Quantenmechanik lassen sich in beide Richtungen interpretieren, wenn man bereit ist flexibel zu sein. Gleichzeitig ist es eine im Leben eines jeden Menschen millionenfach erfahrene Tatsache, dass das Universum in unserem Alltag deterministisch (genug) ist. Wer es nicht glaubt, kann einfach mal einen Ball immer wieder aus der selben Position fallen lassen und es selbst nachprüfen. Diese Erkenntnis ist so fundamental und alldurchdringend, dass wir sie gar nicht mehr als tiefe Einsicht wahrnehmen. Aber fast all unsere Technik, die Existenz von Rezepten und Plänen und ein großer Teil der Wissenschaft beruhen darauf.
Ebenso wichtig, aber nicht ganz so einfach zu verstehen sind die Konzepte der Stetigkeit und die Invarianzgesetze. Stetigkeit bedeutet hier, dass kleine Ursachen kleine Effekte haben und dass eine Ursache nur langsam Effekte auf weiter entfernte Bereiche haben kann (wobei 'langsam' im schlimmsten Fall die Lichtgeschwindigkeit darstellt). Unter die Invarianzgesetze fällt zum Beispiel der Energieerhaltungssatz, der sich im Alltag dadurch ausdrückt, dass Dinge, die man in der Wohnung verloren hat nicht einfach verschwinden, auch wenn es manchmal so scheint. Ebenso wie der Determinismus könnten sie fundamental falsch sein, aber für unser tagtägliches Leben sind diese Modelle/Regeln sehr genau und zuverlässig.
Moment mal, sagen sie jetzt bestimmt. Was ist mit Explosionen? Ein kleiner Funken kann da eine sehr große Wirkung haben! Das stimmt natürlich, aber zuerst ist die Wirkung tatsächlich klein und nur mit der Zeit wird durch fast exponentielles Wachstum daraus etwas großes. Instabilitäten und selbstverstärkende Prozesse sind aber kein prinzipielles Problem, ebenso wie die Existenz von Leben nicht dem Prinzip wiederspricht, dass Entropie ('Unordnung') im Universum immer weiter zunimmt.

Teile und Eigenschaften

Eine der einfachsten und gleichzeitig sehr mächtigen Werkzeuge, die unser Gehirn uns bietet ist das Zerlegen von komplexen Dingen in Teile und ihre Beschreibung durch Eigenschaften. Der Vorgang ein Modell zu erstellen, dass aus einfacheren 'Bausteinen' besteht ist eng verknüpft mit der philosophischen Idee des 'Reduktionismus'. Wenn wir etwas komplexes Bauen wollen, benutzen wir Modularisierung und Abstraktionen (black box models), um Schicht für Schicht von einfachsten Bausteinen zu unglaublichen Resultaten zu gelangen. Wie mächtig diese Idee ist sieht man an modernen Computern oder dem Gedankengebäude der Mathematik, wo man von einfachen Axiomen ausgehend die ganze Mathematik aufbaut.

Komplementär/Dual dazu ist das Konzept einer 'Eigenschaft'. Vereinfacht gesagt ist das eine Information, die sich über ein Objekt/eine Situation messen/ableiten/wahrnehmen lässt. Typische Beispiele sind Farben, Gewicht, Größe und Temperatur. Bei Eigenschaften ist es wichtig sich den Prozess klar zu machen, der dieser Eigenschaft zugrunde liegt. Viele unnötige Diskussionen resultieren daraus, dass man sich über verschiedene Eigenschaften unterhält. Insbesondere bei bewertenden und vergleichenden Eigenschaften, wie 'besser als' ist es wichtig die Bewertungsfunktion anzugeben!

Wissenschaftliche Modelle

Wenn wir immer nur Modelle und nicht die echte darunterliegende Realität sehen, ist die Wissenschaft zum Scheitern verdammt? Sind alternative Modelle der Weltreligionen, persönliche Überzeugungen oder Träume nicht gleichwertig? Es gibt viele Menschen, die der Wissenschaft sehr skeptisch gegenüberstehen. Typische Aussagen sind "Es gibt Dinge, die man nicht messen kann!", "Die Wissenschaft wird nie verstehen, was Liebe/Bewusstsein/... ist." und "Die Wissenschaft untersucht nur Teile, aber nicht die großen Zusammenhänge".

Es gibt mehrere Probleme mit dieser Kritik. Zum Ersten gibt es durchaus einen Unterschied, ob man sich gerade etwas ausgedacht hat oder ob das Modell durch Tests und Messungen an die Realität angepasst wurde. Modelle können unterschiedliche Aussagekraft und Genauigkeit haben und der Kern der wissenschaftlichen Methode ist die Korrektur und Erneuerung von Modellen, wenn sie sich als ungenau oder zu speziell herausstellen. Man vergleiche das mit dem Konzept eines heiligen Buches, das nach seiner Fertigstellung nie wieder verändert werden darf!
Zweitens ist es durchaus so, dass in manchen Situationen ein einfacheres und ungenaues Modell dem wissenschaftlichen vorzuziehen ist. Keiner von uns würde beim Fußballspielen mit Freunden anfangen Differentialgleichungen für die Flugbahn des Balles aufzustellen. Gleichzeitig kann ein intuitives Verständnis von Differentialgleichungen uns helfen das Bewegungsmodell aus unserer Kindheit zu verbessern! Aber zu sagen, dass es kein wissenschaftliches Modell für ein Phänomen geben kann ist gleichbedeutend damit, dass es kein Wort dafür geben kann oder kein Gedanke darüber geformt werden kann. Wenn es solche Themen gibt (und das ist durchaus möglich), werden sie deswegen nicht als Gegenbeispiele herhalten können.
Zuletzt ist die Wissenschaft durch nichts darin beschränkt Modelle zu bauen, die komplexe Zusammenhängen abbilden (und in vielen Disziplinen passiert das schon). Die Menschheit ist eben noch in den Kinderschuhen, was das Verständnis der Welt angeht, so dass es ganz verständlich ist, wenn wir uns die einfachen Dinge zuerst ansehen.

Wozu ist das gut?

Zum Nachdenken

  1. Warum ist 'Kausalität' oben nicht als eine der grundlegenden Eigenschaften des Universums aufgeführt?
  2. Man nehme sich ein beliebiges Objekt und versuche die Teile und Eigenschaften dieses Objektes so ausführlich wie möglich zu untersuchen (mindestens 10 Minuten darüber 'meditieren'!). Erst dann fällt einem auf, wie wenig Information man über alltägliche Dinge tatsächlich wahrnimmt. Wem das nicht genug ist kann sich auch noch die Relationen des Objektes mit seiner Umgebung und das zeitliche Verhalten vorstellen.
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